So richtig viel Neues fällt mir auch nicht ein. Von außen betrachtet muss es aussehen, als ob ich Vergangenheitsbewältigung betreibe. Nachdem ich 2009 nach 16 Jahren wieder in Syrien war, steht jetzt, 18 Jahre nach meinem ersten Besuch, Marokko auf der Agenda. Und tatsächlich ist es, wie damals. Urlaub muss weg, ein Schuss Abenteuer soll mit rein, für zwei Wochen ist Marokko da eine gute Destination.

Die Geschichte ist stehen geblieben, habe ich den Eindruck. Die Marokkaner sagen, viel hätte sich verändert. Politisch vielleicht, was die Sanitärs anbelangt sicher auch und die Strassen besitzen ein paar Kilometer mehr Asphalt. Aber sonst ist mir eines klar geworden auf dieser Reise: Für den Islam ist die Zeit bereits im Mittelalter stehen geblieben. Das tut der Region keinen Abbruch, im Gegenteil, Marokko ist wundervoll.

1993 musste man weit fahren, heute gibt es ein Schiff ab Genua, wasserdicht und 21 Knoten schnell. In 48 Stunden ist man bei den ehemaligen Schmugglern und Mädchenhändlern in Tanger.

Um 5 in der Früh klingelt der Wecker. Nachdem ich am Vorabend bereits alles fix und fertig gepackt hatte, bin ich doch noch eine halbe Stunde damit beschäftigt, irgend etwas zu verstauen. Am Ende komme ich wieder nur knapp um das Schild „Schwertransport“ herum. Mir ist es schleierhaft, wie andere nur mit einem kleinen Packsack verreisen können.
Damit mir der Abschied nicht zu schwer fällt, lässt es Petrus ordentlich schiffen und der Heilige, der für Staus zuständig ist, bleibt auch nicht untätig. Die gesamte Brenner-Route ist dicht. Autobahn, wie Landstrasse.

Nur mit einer Buchungsnummer bewaffnet und einigermaßen gespannt drauf, was passiert, erreiche ich nach neun Stunden den Hafen von Genua. Ein weiteres Mal erstaunt über die Funktionsweise von Ticketkäufen via Internet, halte ich keine 2 Minuten Später meine Bordkarte mit Kabinennummer in der Hand.
410,- Euro kostet die Kreuzfahrt hin und zurück in einer 4-Bett Kabine. Sprit, Maut und Übernachtung zusammen gerechnet, billiger und besser, als die Anreise auf der Strasse. 4 Mal bin ich die Strecke gefahren und kann ein 5. Mal gut auf über 2500 km Autobahn verzichten.
Mit der Belegung hab ich Glück. Die Marokkaner, mit denen ich mir die Kabine teile sind gut drauf, keiner schnarcht und eine Ziege hat auch niemand versteckt.
Am Hafen bereits treffe ich drei Jungs aus Landsberg, „friedhofsblond“ wie ich. Ein paar Italiener stehen noch herum, die das Schiff aber beim Zwischenstop in Barcelona verlassen. Wenn ich daran denke, wie das früher war. 20- 30 Biker waren es mindestens am Hafen. Was macht der Nachwuchs eigentlich? Virtuell Motorradfahren mittels PC?
Zwei Tage später zurrt der Hafenmeister die Taue in Tanger Med. fest und wir rollen von Bord. Die drei Kollegen nehmen die Strecke über das Rif Gebirge in den Süden, ich möchte mich eher westlich halten. Nach Grenzpolizei und Zoll trennen sich daher unsere Wege.

Es ist kurz vor 6 Uhr abends. Am Meer entlang fahre ich die 30 km nach Tanger. Der Fährhafen ist zwischenzeitlich außerhalb, zumindest, was die größeren Pötte anbelangt.
Campingplätze gibt es am Atlantik zuhauf und pünktlich zum Sonnenuntergang finde auch ich einen.
Direkt angeschlossen an ein Restaurant lasse ich es mir nach zwei Tagen Schiff mit Kaugummisemmeln und überteuertem Bier gut gehen. Tagine, ein Gericht, das aus etwas Fleisch, Gemüse und Kartoffelscheiben besteht und in einer Tonform auf dem Grill bereitet wird, dazu Salat, Oliven und Brot. Sehr fein.
Als ich zum Zelt gehe, schleicht dort einer herum. Auf meine Frage, was er da macht, antwortet er, er sei der „Guardien“, der Wächter. Na gut, wenn das hier notwendig ist.

Für mein GPS hatte ich mir über OSM eine kostenfreie Karte für Marokko heruntergeladen. Das Ding funktioniert prächtig, wobei ein Navi in Marokko nicht wirklich notwendig ist. Angenehm ist es in den Städten und ganz besonders auf den Pisten. Und da hat gerade der Kartensatz über das OSM Projekt seinen Vorteil, denn die wenigsten Pisten sind in den offiziellen Garmin Karten verzeichnet.

Dem Wachmann gebe ich am Morgen 5 DH, knapp 50 Cent dafür, dass er mich so toll beschützt hat. Er wollte 10 Franc, hat wohl was verpasst, der Gute. Dann geht’s weiter in Richtung Fes. Der Tag beginnt traumhaft. Um 7:00 bin ich bereits unterwegs. In der noch kühlen, klaren Luft fröstelt es mich. Dann kommt schlagartig Nebel auf. Was soll das?

Die Sonnenbrille wandert in den Tankrucksack und ich muss das Visier herunterklappen. Die Suppe wird dichter und dichter. Mein linker Handschuh ist vom „Scheibenwischen“ durchnässt. Im Schritttempo taste ich mich so 70 km vorwärts.
Es geht ins Landesinnere, die Strasse steigt an. Auf einer Hochebene in Ain-Defali gibt’s einen Kaffee. Ich blicke nach oben und sehe, dass auf fast jedem Schornstein ein Storchennest liegt. Vollkommen baff knipse ich Gevatter Adebar, um im weiteren Verlauf festzustellen, dass Störche hier wesentlich zahlreicher sind, als bei uns. Vielleicht ist deshalb 1/3 der Bevölkerung Marokkos unter 18 Jahre.

Fes erreiche ich kurz nach Mittag und finde den Camping Diamant Vert dank Navi auf Anhieb. Der Platz ist sehr angenehm. 6,5 km südlich des Zentrums schattig in einem Park gelegen. Nebenan ein Schwimmbad. Ich baue das Zelt auf und fahre zu einem der großen, bewachten Parkplätze in der Nähe der Altstadt.
Bewaffnet mit Reiseführer, Foto und Sonnenbrille starte ich das Touristenprogramm. Erst Königspalast, dann die Medina, Fes-el-Bali. Arabische Altstädte und Souks sind, wie Labyrinthe. Zur Sicherheit packe ich daher auch noch mein GPS ein. Wozu hab ich schon so eine Handgurke gekauft, vielleicht kann ich sie hier noch brauchen.

Letztlich ist das einzig spannende, das Gerberviertel. Der Souk ist Großteils ein Ramschladen für Touristen. Nur in den ganz kleinen Gassen finden sich noch die Läden und Werkstätten, für die Einheimischen. Und dort ist die Zeit wohl vor 1000 Jahren stehen geblieben.
Fes verfügt, ausgehend von der Freitagsmoschee ‚Kairaouiyne’ nach Kairo über die älteste Universität der Welt. Dort auf dem Vorplatz sind die Kupferschmiede zugange. Es herrscht ein Höllenlärm. Mit Hämmern der verschiedensten Dimensionen wird auf die Platten eingedroschen. Die Werkstätten sehen aus, als seien sie zusammen mit der Moschee im 8. Jahrhundert errichtet worden.
Um die Gerber und Färber zu sehen, muss man auf eine der Terrassen.

Die diversen Führer hatten mich überraschend ignoriert, doch nun quatscht mich einer an. 10 DH lässt er sich geben, um mich zu einem der Häuser zu führen, von dessen Dach man auf die Becken und Wannen blicken kann.
Gearbeitet wird in zwei Schichten. Vormittags werden die Felle in Säurebecken eingeweicht. Dort arbeiten die Menschen mit Gummistiefeln und Handschuhen. Nachmittags ist eher Färben angesagt. Das Leder wird wieder und immer wieder in den verschiedenen Becken geschwenkt und gewendet. Die Farbstoffe sind alle natürlichen Ursprungs, heißt es. Die Arbeitsweise auch. Maximal bis zum 50. Lebensjahr halten es die Arbeiter durch. 6 Tage in der Woche, 10 Stunden täglich, dann haben sie alle Rheuma vom ständigen Stehen im Wasser, ob in glühender Sonne oder im Winter im kalten Regen. Wenn man sich überlegt, dass die arabische Welt der christlichen im Mittelalter wissenschaftlich und technologisch weit voraus war, fragt man sich, wie eine komplette Kultur auf diesem Niveau stehen bleiben konnte.
Das GPS leistet mir tatsächlich gute Dienste, entlässt man mich doch durch die Hintertür in die Stadt und ich verlaufe mich in den Gassen hoffnungslos.

Nach dem kulturellen Teil soll nun der landschaftliche folgen. Früh breche ich auf. Heute will ich sie sehen, die Ausläufer der Sahara. Dazwischen hat die Plattentektonik jedoch eine kleine Hürde geschoben, den mittleren und den hohen Atlas. Traumhafte, weite Hochebenen, Zedernwälder und tiefe Schluchten, das gesamte Spektrum landschaftlicher Schönheit wird einem auf dieser Strecke offenbart. Hätte ich nicht ständig Fliegen zwischen den Zähnen, ich würde aus dem Grinsen nicht herausgekommen. Auf 2100 Metern erreiche ich das Wintersportzentrum Marokkos. Tatsächlich sieht es hier aus, wie in St. Moritz. Häuser mit steilen Satteldächern und geleckt saubere Straßen. Das liegt jedoch eher am Militär. Findet sich eine Kaserne, so ist rings herum alles nahezu klinisch sauber.

In Zeida halte ich. Hunger macht sich breit. Kaum sitze ich, quatscht mich einer an, der einen Freund in Deutschland hat und Hann Minden ganz toll findet. Dass ich aus der Nähe von München komme interessiert in dem Zusammenhang wenig. Natürlich läuft es darauf hinaus, dass mir die üblichen Versteinerungen und Halbedelsteine präsentiert werden. Dankend lehne ich ab und freue mich über das köstlich gegrillte Kebab mit gebratenen Tomaten und Zwiebeln. Genüsslich kauend sehe ich, wie ein paar Biker vorbei fahren. Es sind die drei Jungs vom Schiff. Sie sehen meine rote GS, drehen um und das Hallo ist groß. Tische werden zusammen gerückt und die anwesenden Marokkaner fallen in die Wiedersehensfreude mit ein, als seien wir alle ein große Familie. Natürlich haben sie nur eines im Sinn, Geschäft mit uns zu machen. In einem Reiseführer habe ich gelesen: „Alle Menschen, die ich angesprochen hatte, waren sehr freundlich zu mir, alle die mich angesprochen hatten, wollten mein Geld“ Und so ist es, das muss einem klar sein. Man kann billig in Marokko reisen, das ist sehr anstrengend, oder man opfert ab und zu einen Euro mehr und genießt die Reise. Ich wählte den Mittelweg und regte mich nur auf, wenn es allzu heftig wurde, dann aber auch unmissverständlich.

Durch das Treffen hat der Aufenthalt länger gedauert, als geplant. Die drei wollen, wie ich auch, bis zum Erg Chebbi und nennen mir ihr Quartier dort. Ich möchte Piste fahren und komme von der anderen Seite. Nur wage verabreden wir uns für den Abend.

Es geht abwärts. Mit jedem Meter, den die Strasse fällt, steigt das Quecksilber. Die Ausläufer des hohen Atlas überquere ich bei Midelt. Nochmals bereiten mir die Schluchten des Gorges du Ziz einen unvergesslichen Anblick. Marokko lebt von seiner Landschaft, von seinen Bergen und seinen Schluchten. Durchquert man sie früh Morgens oder am späten Nachmittag bereiten die Farben der tief stehenden Sonne ein zusätzliches Schauspiel. Fast dramatisch sind dann die Anblicke.
In ArRachidia oder Errachidia ist endgültig Schluss mit Bergluft. Die Wüste beginnt. Dem Qued Ziz folgend schlängelt sich die N13 durch das Tal und gewährt immer wieder gigantische Ausblicke auf den grünen Saum der dicht stehenden Dattelpalmen unten in der Schlucht, eingerahmt von steilen Berghängen und dem Rotbraun der Steinwüste im Hintergrund.
Es ist heiß, über 40 Grad. Hier erlebe ich es wieder: Das Visier herunterklappen kühlt, der Fahrtwind wärmt. Ich blicke auf die Zylinder des Boxers und den Ölkühler unter dem Lenkkopf. Es war gut, für diese Reise das niedrige Schutzblech zu lassen.

In Erfoud kommt für mich die Stunde der Wahrheit. Ich tanke nochmals, kaufe etwas Wasser und suche dann die Abzweigung zur R702, die später zur Piste wird. Die 3 Kollegen kommen kurz nach mir an und fahren die N13 weiter. Kurz bin ich am zögern, ob ich mir die Piste mit meinem ganzen Gepäck wirklich antun soll, dann biege ich aber ab und bin kurz hinter der Stadtgrenze allein mit mir und der Weite.

Passend zur Stimmung treibt der Wind eine Sandhose über die Ebene. Nach wenigen Kilometern endet der Asphalt abrupt. Die Strecke ist gut zu erkennen. Die Piste selbst habe ich im GPS und verfahren kann man sich hier sowieso nur schwer. Blöd sind nur die Sandlöcher und prompt wird auch gleich das erste für mich zum vorläufigen aus. Nicht dramatisch. Ich stelle die Kiste wieder auf und wühle mich die paar Meter auf festen Untergrund. Erst mal muss jetzt die Luft aus den Reifen. Der Druckluftmesser zeigt hinten sage und schreibe 3,25 bar. Unglaublich, was die Hitze aus den zu Hause aufgepumpten 2,6 bar gemacht hat. Auf 1,6 und 1,7 vorne und hinten reduziere ich den Druck. Jetzt geht’s deutlich besser. Mit Schmackes fliege ich über das Wellblech und wühle mich durch den Sand. Es macht irrsinnigen Spaß.

Fast bin ich traurig, als ich wieder Asphalt unter den Reifen habe, sehe aber zu meiner Überraschung das Schild zur Auberge du Sud, der Unterkunft, in der die drei andern absteigen wollten. Also fahre ich gleich wieder herunter von der Strasse, nochmals einige Kilometer querfeldein.

Das Hallo ist groß, als ich in dem Hotel auftauche. Die Kollegen liegen bereits am Pool, den es hier tatsächlich gibt. Unfassbar im Angesicht der Sandberge des Erg Chebbi. Das Licht ist jedoch so großartig jetzt am Abend und ich möchte unbedingt noch etwas im Sand spielen, so dass ich lediglich mein Gepäck ablade, um anschließend direkt meine ersten Dünenerfahrungen zu sammeln. Ein paar Kilometer weiter finde ich einen vermeintlich guten Einstieg und bin gerade dabei, hoch kompliziert Stativ und Kamera aufzubauen, als ein Berber mit seinem Mofa heranknattert. Wir rufen uns beide ein „Salam“ zu, dann frage ich ihn, ob das klappt, mit dem Motorrad im Sand. Er meint nein, der sei zu weich. Ich will es aber trotzdem probieren. Versuche in der Ebene so viel Geschwindigkeit, wie möglich aufzubauen, „verhungere“ jedoch im Anstieg. Naja, dann halt nicht. Was hatte Tomm uns beim Training in Aras gezeigt, Kiste umschmeißen, Sand in das Loch schieben, das der Hinterreifen gegraben hat, Kiste wieder aufstellen und weiterfahren. Genau so geht’s - nur war es in Aras 20 Grad kühler.
Das Abendessen hat dann was Nobles. Inmitten der Dünen wird ein Buffet aufgebaut und nachdem die Sonne blutrot hinter den Sandbergen untergegangen ist, wird getafelt, wie in 1001 Nacht.

Am kommenden Morgen trennen sich dann unsere Wege erneut. Die drei fahren hinauf nach Norden, ich will noch hinunter an den Flamingosee nach Merzouga. In der Kleinstadt trifft mich fast der Schlag, als ich an einer Hauswand Skier lehnen sehe. Ein Typ kommt, erklärt mir, die Touristen fahren damit die Dünen herunter. Ich frage ihn, wo denn der Lift sei. Wir lachen beide. Er lügt mich an, als er meint, ohne Führer findet man den See nicht. Ich drehe um, frage einen anderen, der deutet vor mich auf einen klar erkennbaren Weg und meint, einfach immer geradeaus. Nach nicht mal 5 Minuten stehe ich am Ufer des Dayet Srji. Flamingos gibt es, doch die sind weit draußen. Dafür sitzen zwei Mineralienverkäufer am Ufer.

Mein Ziel heute ist Tinerhir. Von dort möchte ich die beiden Schluchten angehen, das Todra und das Dadès Tal. Die Routenwahl fällt auf die kleine R702. Auf dem Weg komme ich durch Rissani. Ich erinnere mich: Hier sind wir seinerzeit fluchtartig aufgebrochen, weil die Leute einfach zu aufdringlich waren. Heute ist die Schotterstrasse von einst asphaltiert und es ist Markt. Ich halte und ein Muselmane vom feinsten kommt auf mich zu. Auf deutsch spricht er mich an und meint, mich zu kennen. Ob ich schon einmal hier war. „Ja“, sage ich. Da nickt er und sagt: „Siehst Du!“ Ich schiebe nach: „Vor 18 Jahren“. Da beginnt er doch ein wenig zu grübeln.
Selbstverständlich will er etwas von mir. Er ist der Fremdenführer hier und zeigt mir den Markt. Natürlich könnte ich das alleine, doch die 10 DH ist es mir einfach wert mit diesem Pfeifenkopf hier herum zu latschen. Prompt landen wir in diversen Geschäften. Erst bei einem Quacksalber, der eine riesen Show mit seinen Kräuterchen abzieht, dann in der „Kooperative“, beim Teppichhändler. Ich nehme den Tee an, klatsche dann unvermittelt in die Hände und meine: „So, auf geht’s, ich muss weiter“ und gehe. Vollkommen verdutzt läuft mir der Führer hinterher und meint, ich soll doch bloß schaun. Nein, dazu bin ich zu höflich und kaufen tue ich nur in Damaskus, da ist die Qualität besser und die Preise niedrig. Herrlich das Gesicht.

20 Kilometer hinter Erfoud bin ich es aber, der dumm schaut. Tatsächlich werde ich an einer Straßensperre von Demonstranten aufgehalten. Es gibt kein Durchkommen. Auch andere Autofahrer haben keine Chance. Es bleibt nichts, als zu wenden und den Umweg über Errachidia in Kauf zu nehmen. Die Alternative wäre eine Piste im Süden. Doch die habe ich nicht im GPS und mich dann auf so etwas einzulassen ist mir alleine ein zu großes Risiko.
Doch es kommt anders. Beim Blick in die Karte fragt mich ein junger Typ, wo ich hin möchte. Ich erkläre es ihm und er meint, kein Problem, er zeige mir den Weg außen um das Dorf herum. Der Packsack wandert ganz nach hinten und der Knabe nimmt auf dem Sozius platz. Ich frage, was die Sperre soll. Er erklärt, dass sie so lange bleibe, bis ein Minister kommt, der ihnen neue Strassen bessere Kanalisation und was noch alles verspricht – aha, also nix Revolution gegen König und Vaterland. Nein, nein, sonst sei alles bestens.
Wir hoppeln über Trampelpfade und Karrenwege. Tatsächlich lande ich wieder auf der Hauptstrasse. Doch entlassen werde ich erst, nachdem ich meinen Obolus entrichtet habe, 10 DH – 1 Euro. Das war es die Sache Wert.

Vor mir braut sich was zusammen. Der Horizont ist gelb. In Tinerhir beginnt es zu regnen. Sandsturm mit Regen, wie das geht ist mir schleierhaft aber es geht. Das Hotel, auf das meine Wahl fällt ist einfach und gut. 50 DH für das Zimmer mit sauberem Etagenklo. Nebenan bei Chez Maria gibt’s am Abend dann noch einen leckeren Salat, Kebab und Pommes.

Zagora muss es heute sein. Das Schild nach Timbuktu ist das Ziel. Das für heute und das der Reise. Doch nicht direkt fahre ich sondern nehme den Umweg die Todra Schlucht hinauf und das Dadès Tal zurück. Oben quert das ganze ein ca. 40 km lange Piste. Peter, einer der drei Biker, meinte seine Kumpels seien im April nicht über den Pass gekommen.

Es folgt wieder ein wahres Gewitter an Eindrücken und Bildern. Angefangen von dem schmalen Canyon hinauf in die Hochebene. In Tamtattouchte will das GPS auf Gedeih und Verderb links in eine Hauswand, der tatsächliche Abzweig liegt 2 km weiter. Die Piste beginnt unmittelbar und ist gut fahrbar. Erst steigt sie leicht, dann mäßig an. Es folgen einzelne enge Kehren, durchsetzt mit losem Schotter und Geröll. Dann ist es einfach nur noch still und einsam. Kein Grashalm, kein Zweig, nichts gibt es hier oben. Ich halte für ein Foto, baue das Stativ auf und denke, ich sehe nicht recht. Kommen doch tatsächlich drei Kinder den Hang herunter. Was um Himmels willen machen die hier oben auf über 2500 Metern?! Sie sehen mir zu und als ich sie frage, ob ich ein Foto von ihnen machen darf, nicken sie, halten die Hand auf und meinen, 1 DH.

Die Passhöhe ist überwunden und ich dachte, das war’s. der Rest sollte kein Problem sein. Doch weit gefehlt. Die Piste senkt sich mehr und mehr bis in ein Tal. Irgendwann gibt es keinen Weg mehr, nur noch das Bachbett. Das Fahren ist der Horror. In Schrittgeschwindigkeit lenke ich die schwer bepackte BMW über Fußball-große Steine. Meist im 2. Gang, an einzelnen Steigungen im ersten schaffe ich so einen Schnitt von 20km/h. Das muss doch mal ein Ende haben, denke ich, doch nein. Immer wieder fällt der Weg zurück ins Bachbett und geleitet einen durch das lose Geröll.
Zwei Stunden später erreiche ich die Hauptstrasse bei Msemrir. Selten habe ich mich über Asphalt so gefreut, wie hier.

Entschädigt werde ich für die Quälerei mit einer gewaltigen Bergwelt, die der Gorges du Dadès mir präsentiert. Die Straßenführung ist gigantisch und fast bin ich traurig, als sich das Tal öffnet und die Strecke einmündet auf die N10 nach Quarzazate. Es ist die Straße der Kasbahs. Doch von denen sehe ich nicht viel, denn es fängt an zu schütten und zwar richtig. Ein Sturm tobt, drückt mich auf den endlosen Geraden in Schräglage. Wolkenbruch in der Wüste, was müssen sich die Menschen hier freuen. Ich dagegen frage mich, wie weit ich eigentlich fahren muss, um dem Pisswetter zu entkommen. Doch Regen in der Wüste ist anders, er dauert nicht lang und ½ Stunde später ist er vergessen. Wind bei über 40 Grad trocknet alles in Minuten.

Zagora erreiche ich deutlich später, als geplant. Was für ein Ritt! Erst die Piste in den Bergen, dann dieses Unwetter. Der Plan war, auf den Campingplatz von damals zu gehen, auf dem uns permanent ein Kamel durch ein Fenster in einer verfallenen Wand beobachtete, doch es braut sich schon wieder etwas zusammen und das Zimmer ist für 120 DH zu bekommen, warum also der Stress. Das Schild „Tombouktu“ wurde versetzt. An der ursprünglichen Stelle steht heute die Bezirksverwaltung. Unscheinbar hat man es gegenüber an die Rückseite des Hotel Palmeraie gestellt. Die Faszination ist weg vom einstigen letzten Wegweiser vor der Wüste, der einem die Richtung wies zur nächsten Oase – Timbuktu, 52 Tage.

Ursprünglich wollte ich die Piste von Zagora nach Foum-Zguid nehmen. Es gibt zwei. Im Süden eine, die ist sandig und etwas weiter nördlich, die N12 (!), doch die ist extrem steinig. Alleine eine der beiden Strecken zu fahren, davon rät man mir tunlichst ab und nach meiner gestrigen Erfahrung halte ich mich ausnahmsweise an den Rat. Wenn man so zu Hause vor dem Computer sitzt, die Reiseplanung macht, sich den Pistenverlauf in Google Maps ansieht und denk, kann doch nicht so schlimm sein, ist das eine Sache.

Bei 45 Grad im Schatten, weit über 50 Grad in der Sonne, alleine auf einer Strecke teilweise in Schrittgeschwindigkeit über 150 km fahren zu müssen, da sieht die Sache nochmals ganz anders aus. Ein Platten ist da die harmloseste Panne. Was, wenn der Ölfilm reißt, der Motor den Geist aufgibt, dar Anlasser verreckt, wie damals in Syrien, die Dioden auf der Platte verglühen, und, und, und. Etwas traurig bin ich dann aber doch, als ich am kommenden Morgen die Strecke zurück nehme, das Dráa Tal wieder nach Norden und über Asphalt in Richtung Tafraoute. Was mich bei dieser Planung allerdings geritten haben mag, weiß ich nicht mehr. Weiter oben eine reine Gebirgsstrecke mit dem entsprechenden Schnitt. Es ist schon Dunkel, als ich in Igherm so ziemlich das einzige Hotel im Umkreis von 100 km erreiche. Zelten hier oben kann man vergessen. Nur Geröll und keine 2 qm ebener Untergrund. Das Zimmer hat dann auch etwas. Ursprünglich ist wohl zutreffend, eher etwas für Einheimische. Ein vollkommen verdreckter Schuppen, in den man eine Art Gefängniszellen gebaut hat und in jede ein Bett gestellt. Bettzeug? Gibt’s seit 10 Jahren das gleiche - ungewaschen. Ich bin froh, dass ich meinen Bettbezug dabei habe, in den ich zum Schlafen hineinkrieche. Dafür ist die Tagine, die mir abends aufgetischt wird vom feinsten – für Einheimische eben.

In einem weiten Bogen durchquere ich den Antiatlas und möchte nochmals in die Wüste, bevor es endgültig hinauf nach Norden geht. Krasser können die Gegensätze nicht sein. Vormittags keine 20 Meter gerade Strasse, nachmittags alle 2 Kilometer eine leichte Kurve. Und heute ist es richtig heiß. Das, was die letzten Tage abging war Kindergeburtstag. Peinlich achte ich darauf, dass der Ölstand immer auf max. ist. Der Motor absolviert hier Höchstleistungen. In Tata gönne ich mir ein Hotel mit Klimaanlage. Stunden braucht diese, um den Raum auf unter 30 Grad zu kühlen. An der Strasse steht ein Thermometer, 47 Grad zeigt es noch abends. Wie heiß mag es dort draußen gewesen sein?

Ein Schwede kommt auf mich zu. Erst später merke ich, dass er zu der 12er GS gehört, die gegenüber in einer Einfahrt parkt. Bier hätten sie hier, meint er. Zwischenzeitlich abstinent, brauche ich’s nicht wirklich, öffne aber rein Interesse halber die Tür mit Aufschrift ‚Bar’. Dahinter sieht es aus, wie in einer Opiumhöhle. Dunkelhäutige Araber sitzen mit halb geschlossenen Augen zugedröhnt an Tischen, die sich vor Flaschen biegen. Die Luft ist zum Schneiden. Es wird geraucht, als würde hier morgen das bayerische Nichtrauchergesetz eingeführt. Von wegen Allah hat den Alkohol verboten. ‚Er hat ja keine Marke genannt’ meint einer.
Rückwärts verlasse ich den Raum, bestelle mir statt dessen etwas zu essen und gehe früh ins Bett. Die Hitze hat mich heute geschafft. Wie sehr, merke ich nachts, als mir der Mageninhalt nochmals durch den Kopf geht.

Gerade heute, bin ich nicht fit, denn heute steht eine besondere Etappe bevor. Von Tata quer durch den ganzen Atlas über den Tizi-n-Test hinauf bis Marrakech. 400 km nur Passstrasse.
Dafür fährt Marokko zum Abschluss nochmals alles auf, was es zu bieten hat. Angefangen von der einsamen Wüstenpiste im Süden, durch schmale Canyons über Strassen, die sich an den Hängen langsam höher und höher schrauben. 120 km kurvenreiche Strecke steht am Fuße des Test, gefährliche Strecke ist in der Michelin Karte eingezeichnet. Diesen Pass bei schlechtem Wetter fahren möchte ich keinesfalls. Die Strasse auf der Südseite ist einspurig und in wirklich schlechtem Zustand. Doch deswegen bin ich hier. Autobahn fahren kann ich in Deutschland.

Der Abstieg Richtung Norden hat dann einige Überraschungen zu bieten. Hier hatte es vor kurzem scheinbar richtig heftig geregnet und das Wasser entsprechende Mengen von Sand, Kies und grobem Schotter auf die Strasse gespült. Tatsächlich ist an einer Stelle dann der Halbe Berg auf die Strasse gerutscht und man ist dabei, den Erdhaufen mit schwerem Gerät beiseite zu räumen. Beim Warten kommt doch tatsächlich wieder ein Mineralienhändler an. Als ob ich vor einer Baustelle mal schnell einen Halbedelstein kaufen würde.

Marrakesch erreiche ich abends. Vor einem Hotel stehend fragt mich ein Junge, ob ich ein Hotel suche. Ja, sage ich. Dort sei eines. Ok, danke. 10 DH sagt er und hält die Hand auf. Ich kann nur belustigt den Kopf schütteln, es ist unglaublich.

Nach Fes ist Marrakech nicht mehr wirklich beeindruckend. Hier habe ich jedoch die Möglichkeit, früh morgens den Färbern zuzusehen und muss natürlich auch nicht lange warten, bis mir ein selbsternannter Führer seine Dienste anbietet. Gut genährt, erklärt er mir, dass er auch dort arbeitet und einen Freund in Deutschland hat. Deutschland sei so ein schönes Land. Ich stimme ihm zu und erwähne, dass man dort auch nicht dafür zahlen muss, wenn man nur um eine Auskunft bittet. Da verlassen ihn auf einmal seine Französisch-Kenntnisse. Also bekommt er seine 10 DH, als er mich dem Aufseher einer der ältesten Gerbereien von Marrakech übergibt. Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, dass es keine andere Möglichkeit gibt Leder zu gerben und zu färben, als unter diesen unmenschlichen Bedingungen von Hand. Dazu können mir die Leute hier natürlich nichts sagen.

Am frühen Vormittag verlasse ich Marrakech. Der interessanteste Teil der Reise liegt hinter mir. Zurück führt mich die Strasse wieder hinauf nach Tanger, wo ich 2 Tage später die Fähre besteige. 2 Motorradfahrer aus Biberach warten dort schon ein Weilchen, wie ich den Stapeln von Bierdosen entnehmen kann. Nachdem das Topcase geöffnet wird, sehe ich, dass die beiden mit Sicherheit nicht verdursten werden und lasse mich ebenfalls zu einem Bier einladen.

Das Abendland hat mich wieder.